Meine Schwerkraft-Anbieter

Irgendetwas mit der Schwerkraft funktionierte nicht so wie es sollte. Ich fühlte mich so abgehoben und irgendwie zu leicht. Das war nicht weiter tragisch, ich hatte ja schließlich einen Anbieter. Und den auch schon häufiger gewechselt. Weil man das einerseits machen soll und ich andererseits auch mitreden können wollte. Denn schließlich wechselten ja alle andauernd irgendeinen Anbieter. Da war es doch ein Klacks, die Service-Adresse des für mich zuständigen Anbieters herauszusuchen und eine kurze luftige E-Mail zu verfassen. Dass das mit dem Anrufen an der so genannten Hotline sinnlos wäre, hatte ich bereits von vielen anderen gehört.

Also schilderte ich mein Problem wie folgt:

Mein Schwerkraft-Abo

Sehr geehrtes Gravitation-Team,

in letzter Zeit funktioniert meine Schwerkraft nicht mehr richtig. Und das obwohl ich immer pünktlich bezahlt habe. Ich fühle mich zu leicht und scheine hin und wieder zu schweben, zumindest in meiner Homezone. Ich finde das sehr problematisch, gerade auch nachts.

Bitte schaffen Sie Abhilfe

Mit freundlichen Grüßen

Ihr Kunde

Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten:

Ihre Service-Anfrage

Sehr geehrter Herr Jansen,

vielen Dank für Ihre Anfrage vom soundsovielten. Wir haben Ihre Anfrage an unsere Technik-Abteilung weitergeleitet.

Bitte beachten Sie: Die Bearbeitung von Support-Anfragen dauert mindestens 6 Wochen. In dringenden Fällen können Sie die Supportbearbeitungszeit über einen Dringlichkeitsantrag auf 4 Wochen verkürzen. Die Bearbeitungsdauer des Dringlichkeitsantrages beträgt ca. 14 Tage und ist nicht auf die Supportbearbeitungsdauer anrechenbar. Die Supportbearbeitungszeit startet also frühestens mit dem Ende der Bearbeitungszeit des Dringlichkeitsantrages.

Mit freundlichen Grüßen
Support Team

Diese Auskunft versprach zwar keine schnelle Abhilfe, war aber zumindest an der richtigen Stelle angekommen. Seit der Privatisierung der Schwerkraft konnte man seinen Anbieter angeblich frei aussuchen. Aber die Privatisierung hatte auch dazu geführt, dass dauernd irgendwelche Störungen auftraten. Ich habe den Eindruck, dass es früher besser war. Da gab es die gleiche Schwerkraft für alle und das war gut. Niemand dachte ernsthaft darüber nach, außer einigen Marktradikalen, die hier einen Markt erkannten. Und denen es nach schlimmstem Sozialismus roch, dass es in bestimmten Lebensbereichen allen Menschen gleich gut gehen sollte.

Mein aktueller Anbieter gehörte zu den preiswerteren. Da war vom Service vermutlich nicht viel zu erwarten. Und die Antwort auf meine Anfrage sorgte dafür dass ich mich auf weitere unruhige Nächte vorbereiten konnte. Ich dachte bereits darüber nach mich am Bett festzuschnallen. Denn jedes mal, wenn ich mich umdrehte, schwebte ich ein Stückchen höher über meinem Bett. 

Ich traute meinen Augen nicht, als ich mein Notebook öffnete und die folgende E-Mail las:

Ihre Ticket-Nummer

Sehr geehrter Herr Jansen,

Ihrer Anfrage wurde in unserem Ticketsystem die Nummer 3487657-B56 zugeordnet. Bitte geben Sie bei Rückfragen immer die Ticket-Nummer an.

Mit freundlichen Grüßen
Support Team


Das machte mir klar: Ich war zu einer Nummer, zu einem Fall geworden, aber mein Fall stand jetzt auf der Liste der Fälle meines Anbieters und würde schon irgendwann bearbeitet werden. Wenn auch erst in ein paar Wochen.

Einen kleinen Freuden-Schweber machte ich als ich am nächsten Tag die folgende Nachricht meines Anbieters in meinem elektronischen Postfach fand.

Ihr Service-Ticket 3487657-B56

Sehr geehrter Herr Jansen,

am morgen wird sich zwischen 08:00 und 19:00 Uhr ein Service-Techniker per eMail mit ihnen bzgl. Ihres Service-Tickets 3487657-B56 in Verbindung setzen. Ihre ständige Anwesenheit vor dem E-Mail-Client ist in dieser Zeit dringend erforderlich. Sollte die eMail sie in dieser Zeit nicht antreffen, entstehen zusätzliche Kosten für einen Zweitversand.

Mit freundlichen Grüßen
Ihr Service Team

Ich hatte eigentlich etwas Banaleres vor, als den ganzen Tag auf meinen PC zu starren, aber wenn ich mein Problem auf diese Weise früher los würde, sollte mir das auch einen unbezahlten Urlaubstag wert sein.

Am besagten Tag stand ich früh auf, denn ich wollte den virtuellen Techniker nicht versäumen. Bereits um 7.30 war hatte ich es mir mit einer großen Tasse Kaffee am PC gemütlich gemacht. Na ja, so richtig gemütlich war es nicht, denn ich war sehr aufgeregt. Es war ein Glückstag: Innerhalb kürzester Zeit, kümmerte sich mein Anbieter um mein Problem. Vielleicht hatte ich doch den richtigen Anbieter gewählt.

Mein anfängliches Glücksgefühl ließ allerdings deutlich nach, als gegen 10 Uhr die folgende Elektro-Post eintraf:

Ihre Meinung

Sehr geehrter Herr Jansen,

Ihre Meinung über unseren Supportservice ist uns sehr wichtig! Bitte nehmen Sie sich etwas Zeit für unseren Fragebogen - damit wir zukünftig noch besser auf Ihre Wünsche eingehen können. Das Ausfüllen dauert nur ca. 95 Minuten.

Den Fragebogen finden Sie im Anhang dieser E-Mail.

Mit freundlichen Grüßen
Ihr Support Team


Also machte ich mich ans Werk, öffnete das umfangreiche Dokument „ServiceFrageBogen – Kurzfassung.“

Nach einer Stunde war ich bereits etwas ermattet und hatte etliche Fragen rund um den Themenkomplex „Allgemeines“ beantwortet. Ja, mir sei die Schwerkraft schon sehr wichtig, nein, verzichten wollte ich darauf auf keinen Fall, über die Geschichte und die politische Bedeutung der Schwerkraft hätte ich nie viel nachgedacht, andere Anbieter kannte ich selbstverständlich, Einzelheiten meines aktuellen Tarifes kannte ich nicht so genau, ob Schwerkraft unbedingt gelb sein müsse konnte ich auch nicht sagen. Gerade machte ich mich daran, den Bereich „Gesundheit und Schwerkraft“ zu beginnen, da meldet mein PC den Eingang einer weiteren Mail.


Ihre Service-Anfrage
Sehr geehrter Herr Jansen,

für die Bearbeitung Ihres Service-Tickets 3487657-B56 werden noch einige dringende Fakten benötigt:

1) Wie hoch sind Ihre Räume?
2) Stoßen Sie bei zu wenig Schwerkraft gelegentlich an die Decke?
3) Haben Sie kritische Stellen im Deckenbereich mit Schaumstoff abgesichert?

Für die Beseitigung Ihrer Probleme ist eine persönliche Augenscheinnahme vor Ort notwendig. Bitte halten Sie sich morgen zwischen 8:15 und 18:30 Uhr in Ihren Räumlichkeiten bereit.

Mit freundlichen Grüßen

T. Ölpel
Support-Techniker
Support Team


Ich konnte mein Glück kaum fassen. Morgen sollte tatsächlich ein Techniker aus Fleisch und Blut meine unwürdigen Räume betreten und Abhilfe schaffen. Nötig war es allemal, denn die Schwerkraft ließ weiter nach. Ich meldete meinem Arbeitgeber einen weiteren unbezahlten freien Tag, beantwortete die Fragen der Mail wahrheitsgemäß und wandte mich wieder dem Fragebogen zu.

Am nächsten Morgen stand der Techniker tatsächlich in der Wohnung. Er hatte jede Menge Instrumente, Kabel und Schläuche dabei. Ohne sich lange mit Begrüßungsfloskeln aufzuhalten machte er sich ans Werk. Verlegte Kabel, schloss Instrumente an und schüttelte das kleine Köpfchen hin und her. „Zu wenig Schwerkraft“, konstatierte die geschulte Fachkraft. Er begann seinen Krempel zusammenzupacken. „Und was passiert jetzt?“ wollte ich wissen. „Sie hören von uns.“ Sprach er und entschwand. 

Am Tag darauf bekam ich wieder Post auf dem elektronischen Weg.

Unser Techniker-Besuch
Sehr geehrter Herr Jansen,

leider müssen wir Ihnen mitteilen, dass uns gestern ein bedauerlicher Fehler unterlaufen ist.

Ihr Ticket 3487657-B56 wurde bereits 41 Tage vor Fälligkeit von unserem Service-Techniker an Stelle des Tickets 3478657-B56 bearbeitet. Daher werden sämtliche Ergebnisse des gestrigen Techniker-Besuchs dem Inhaber des Tickets 3478657-B56 zur Verfügung gestellt. Wir fordern sie auf, diese Ergebnisse selbst nicht mehr zu verwenden. Andernfalls müssen wir diesen Verstoß gegen unsere AGB mit dem Ausschluss aus unserer Kundenkartei ahnden.

In etwa 6 Wochen wird sich ein Service-Techniker mit Ihnen in Verbindung setzen, um Sie über die Lösungen zum Service-Ticket 3478657-B56 zu informieren.

Wir bitten Sie, die Ihnen entstandenen Unannehmlichkeiten zu entschuldigen.

Mit freundlichen Grüßen
Ihr Service Team

Jetzt reichte es wirklich. Ich erbat die schnellstmögliche Löschung aus der Kundenkartei und wechselte noch am gleichen Tag den Anbieter. Als Begrüßungsgeschenk gab es einen Gratis-Gürtel mit Bleigewichten. Damit konnte man den temporären Ausfall der Schwerkraft immerhin ein wenig kompensieren. 

Mein bisheriger Anbieter verabschiedete sich kurz darauf mit einer letzten dreisten Mail.

Sehr geehrter Herr Kunde,

gerne würden wir Sie aus unserer Kundenkartei streichen. Nur, ein Kunde dieses Namens ist dieser Kartei nicht enthalten. Bitte senden Sie uns die Ticket-Nummer Ihrer Service-Anfrage zu, damit wir die Streichung ordnungsgemäß vornehmen können.

Mit freundlichen Grüßen
Ihr Service Team

(Vielen Dank an Martin, den Schöpfer dieser wunderbaren E-Mail-Texte.)

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